Dienstag, 9. Juni 2015

Mein kleiner Einbrecher


Der Flummi frönt seinem Hobby, dem Fußball, Murmel und ich chillen in der Sonne auf Balkonien.

„Möchtest Du Blumen gießen?“ frage ich das Murmelkind.
„Au ja!“ Sie verlässt hüpfend vor Begeisterung die Sitzfläche des Gartenstuhls.
„Dann mach mal eine Wasserflasche aus der Küche voll und verteil das hier in den Kästen.“
Wir haben diese wasserspeichernden Dinger, die beim derzeitigen Hamburger Frühling eigentlich gar nicht nachgefüllt werden müssten. Aber so langsam schleicht sich doch die Sonne um die Ecke und unsere Edellieschen haben sich bis jetzt auch nicht lumpen lassen, sich so ziemlich ´nen Wolf geblüht und die Kästen leer gesoffen.

Das Murmelkind erscheint wieder mit gefüllter Flasche und tränkt unsere Pflänzchen.
„Wie viel Wasser muss hier denn noch rein?“
„Also … bestimmt so vier bis sechs Flaschen. Da geht ´ne Menge rein. Und wenn der gelbe Fussel hier im Röhrchen soweit wieder aufgestiegen ist, dann ist genug Wasser im Pott.“, zeige ich auf die Wasserstandsanzeige. Murmel nickt und verschwindet. Eine gefühlte Ewigkeit.
Dann erscheint sie wieder mit dem gesamten Flaschenkasten, der als Leergut an der Tür stand in ihren kleinen Händen. Alle Flaschen sind bis unter die Hutschnur mit Wasser gefüllt.
Meine Augen werden rund.
„Du hast alle Flaschen gefüllt?“ frage ich.
„Ja.“ sagt sie fröhlich. „Ist doch gut. Dann musste ich nur einmal gehen. Und außerdem ... du hast zu mir gesagt, da sollen sechs Flaschen rein.“
Ich bin beeindruckt von so viel Pragmatismus. Bin ja selbst eigentlich schon ziemlich gut organisiert. Aber sie toppt alles. 


Als Murmel das Wasser gerecht unter all den Pflänzchen verteilt hat, fragt sie: „Was kann ich noch gießen?“
Ich deute auf die andere Seite und meine: „Die Margeriten können auch wenigstens eine Flasche vertragen. Und der Rest bestimmt auch noch mal drei Flaschen.“
Sie dealt mit mir. „Vier Flaschen! Mama!“
„In Gottes Namen ... meinetwegen auch vier Flaschen.“
Das Murmelkind zieht glücklich von dannen.

Als offensichtlich alles Wasser unter die Leute und Pflanzen gebracht ist … der gesamte Balkon ist gut gewässert ... kommt sie mit hochgezogenen Augenbrauen um die Ecke. 
„Der Flaschendeckel ist runter gefallen und liegt jetzt bei den Nachbarn unten im Garten.“
„Oh! Dann hast du jetzt zwei Möglichkeiten. Der Deckel bleibt da, wo er ist und alle wundern sich, wo der herkommt oder du gehst runter durch den Keller, hinten durch die kleine Tür in der Hecke und holst den Deckel wieder.“
„Dann bin ich ja ein Einbrecher!“ erwidert sie empört.
Ich zucke die Schultern. „Ist deine Entscheidung.“
„Oder ich gehe runter und klingel einfach.“
Gut. Diese gesetzlich akkurate Möglichkeit hatte ich mal eben ausgelassen. 
Zu meiner Entschuldigung: Ich bin mir ziemlich sicher, dass keiner zu Hause ist. 
„Ja, du kannst natürlich auch klingeln. Ich glaube nur nicht, dass jemand da ist.“
Wortlos weht das Kind aus der Tür und steht wenige Minuten wieder in selbiger. 
„Keiner da.“
„Und wie ist jetzt Plan B?“ frage ich.
Murmelkind verschwindet in ihrem Zimmer und kommt mit Mütze und Sonnenbrille wieder heraus. Als Einbrecher muss man schließlich unerkannt bleiben. 
Ich versichere ihr, aus dem Fenster zu pfeifen, wenn ich die Nachbarn von oben kommen sehe.


Der Diebstahl des Wasserflaschendeckels aus dem Nachbargarten glückt ohne Vorkommnisse und Enttarnung.  Mein Murmelkind steht stolz mit dem Corpus Delicti in der Hand vor mir, als ich die Tür abermals öffne. 

Foto: Ichnicht (konnten wir gerade noch davon abhalten, sich dem Deckel rettend hinterher zu stürzen)